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Der geplatzte Traum
14.11.2014 12:37

Ob Fahrer oder Dolmetscher – 1700 Ortskräfte hat die Bundeswehr in Afghanistan beschäftigt. Doch zum Jahreswechsel endet die Mission am Hindukusch und die Helfer fürchten die Rache der Taliban. Über ein Programm sollen sie Zuflucht in Deutschland finden. Doch der Start ins neue Leben erweist sich oftmals als holprig – wie ein Fall in Schleswig-Holstein zeigt. Von Jens Kiffmeier.

Seine Ankunft in Deutschland hatte er sich anders vorgestellt. März 2014. Es ist ein kalter Wintertag. Der Taxifahrer, der ihn zuvor vor dem Haus in Trappenkamp abgesetzt hat, braust sofort wieder davon, wortlos. Mohammad, 35, Afghane, steht auf der Straße, zusammen mit seiner Frau Khairiya. In der Hand hält er einen Schlüssel. Nur zu welcher Tür passt der? Stockwerk für Stockwerk tastet sich das Ehepaar durch das Mehrfamilienhaus, probiert. Endlich, denkt Mohammad, als sich eine der Türen aufsperren lässt. In der fremden Wohnung ist es dunkel. Es gibt kein Licht, keinen Strom, kein Wasser, nur zwei Betten. Das Paar setzt sich. Es wird vier Tage dauern, bis sie bei den Behörden wieder den richtigen Ansprechpartner finden werden, um die Wohnung richtig bewohnbar zu machen.

In dieser Zeit kommen Mohammad ernsthafte Zweifel. War es das alles wert? „Am Anfang war ich stolz, für die Bundeswehr zu arbeiten“, sagt er. „Doch in diesem Moment war ich mir nicht sicher, ob ich es nicht doch bereue.“

Sechs Jahre lang war Mohammad, der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, bei der Bundeswehr im nordafghanischen Taloqan angestellt. Als Ortskraft, wie es im Militärjargon heißt. Er hat die Feldlager bewacht, ist mit den deutschen Soldaten auf Patrouille gefahren und hat für sie Botengänge erledigt. Und er hat für sie gekämpft, bis aufs Blut – und sich dadurch zum Todfeind der islamistischen Taliban gemacht. Deshalb musste er Anfang dieses Jahres weg. Raus aus Afghanistan. Raus aus seiner Heimat.

Mohammad ist nicht der einzige. 1700 einheimische Helfer beschäftigt die Bundeswehr im Rahmen ihrer Auslandsmission am Hindukusch – als Dolmetscher, Koch, Fahrer, Putzkraft oder Sicherheitskraft. Aus Sicht der Taliban macht sie das zu Kollaborateuren und Verrätern. Unverhohlen drohen ihnen die Islamisten mit dem Tod – erst recht seit klar ist, dass sich die westlichen Isaf-Truppen bis zum Jahresende 2014 vom Kriegsschauplatz zurückziehen werden. Endet die Mission, endet der Schutz für die Helfer, die deshalb nur einen Ausweg sehen: die Ausreise nach Deutschland.

Laut Verteidigungsministerium haben 1082 Ortskräfte bereits einen entsprechenden Asylantrag gestellt, 388 von ihnen haben bislang eine Zusage erhalten. Mohammad entschied sich zum Jahreswechsel zur Flucht. Zu diesem Zeitpunkt wohnte er nur noch in den Bundeswehrlagern. Zum Elternhaus, in dem sein Vater, seine Mutter und sein Bruder noch immer leben, wagte er sich nur noch selten, höchstens in Begleitung von vier Freunden. Zum Schluss gab er es ganz auf. „Zu gefährlich“, sagt er. Die Taliban beobachteten alles sehr genau. Und Mohammad ist ihnen schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Immerhin schreckte er nicht davor zurück, auf seine Landsleute zu schießen.

Rückblick. Taloqan, 10. Juni 2010. Mohammad träumt von einem freien Afghanistan. Deshalb arbeitet er in seiner Heimatstadt für die Bundeswehr. „Das erschien mir sinnvoller zu sein, als weiter Taxi zu fahren.“ Doch für seinen Traum muss er weit gehen, das erkennt er an diesem Tag. Vor dem Feldlager tummelt sich eine aufgebrachte Menge von Islamisten, sie protestieren gegen die vermeintlichen Besatzer. Plötzlich fallen Schüsse. Handgranaten fliegen. Und Mohammad macht das, wofür die Bundeswehr ihn bezahlt: Er legt an, feuert zurück und verteidigt das deutsche Feldlager.

In dem Gefecht rettet er drei deutschen Soldaten das Leben. Dann wird er selber verwundet. Am Rücken. „Es sah schlimmer aus, als es tatsächlich war“, berichtet Mohammad. Doch das ist untertrieben. Monatelang konnte er wegen der Verletzung nicht mehr laufen. Außer der Notversorgung kann man ihm im Bundeswehrlazarett nicht helfen. Die Ärzte legen ihm nahe, sich in Pakistan operieren zu lassen. Auf eigene Rechnung. Also verkauft Mohammad den Schmuck seiner Frau und lässt sich ins Nachbarland bringen. Nach zwei Operationen und mehreren Monaten Zwangspause kann er wieder gehen. Für seine Verdienste verleiht ihm das Isaf-Oberkommando später eine Urkunde.

Vier Jahre später hält Mohammad das Schriftstück in den Händen. Es ist eines der wenigen Dinge, die er mit nach Trappenkamp gebracht hat. Es erinnert ihn daran, warum er hier ist. In Deutschland will er sich mit seiner Frau ein neues Leben aufbauen. Sie wollen arbeiten, Geld verdienen, vielleicht ein Kind bekommen. Und sie wollen nach Lübeck umziehen, weil es dort afghanische Läden und eine afghanische Gemeinde gibt. Doch das ist nicht so einfach. Denn von den Vermietern hagelt es nur Absagen.

Sylvia Zanella-Foritto de Belmar (Linke) kann die Enttäuschung darüber nicht verbergen. Die ostholsteinische Kreistagsabgeordnete will dem Ehepaar helfen. Sie hat einen Dolmetscher organisiert, auch ein paar Möbel, sie begleitet das Paar bei Behördengängen. Eigentlich sei sie ja gar nicht zuständig, nur durch Zufall habe sie erfahren, dass Mohammad und seine Frau Hilfe gebrauchen könnten. „Wir müssen uns viel besser um die Leute kümmern, die für die Bundeswehr gekämpft haben“, findet sie.

Mohammad selber will sich nicht beklagen. Zumindest nicht laut. Er habe „Respekt“ vor Deutschland, sagt er. Durch die Bundeswehr habe sich die Lage in Afghanistan verbessert. Neue Straßen. Neue Schulen. Und viel mehr Sicherheit. „Plötzlich konnte man nachts wieder auf die Straße.“ Den geplanten Abzug hält er deshalb auch für einen großen Fehler. Denn dann könnten die Taliban wieder so agieren, wie sie wollten. Mohammad sagt: „Eine Stunde nachdem die Bundeswehr abgezogen ist, gibt es wieder Krieg.“ Und dann sei alles umsonst gewesen. Für Deutschland. Und für ihn persönlich.

(Veröffentlicht am 17.09.2014 in den Kieler Nachrichten)

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